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Wie die Uraufführung eines altbekannten Klassikers

In «Jazziah», ein Projekt der Camerata Bern und des Vokalensembles Ardent, wird die Barockmusik durch jazzige Improvisationen ergänzt.

 

Für das Gelingen einer Aufführung eines so grossen und grossartigen Werks wie Georg Friedrich Händels «Messiah» ist das Herausschmettern der Höhepunkte oft weniger entscheidend als das spannungsvolle Durchmessen der musikalisch unauffälligeren Passagen. Macht es sich der italienische Komponist Domenico Caliri also nicht zu leicht, wenn er im Crossover-Projekt «Jazziah – Händels Messiah reloaded» fast ausschliesslich die Höhepunkte aus Händels Werk aneinanderreiht?

Ganz im Gegenteil. Denn da, wo das Original gekürzt worden ist, gibt es jetzt instrumentale Erweiterungen. Das ist spannend: Die ursprüngliche Barockmusik wurde durch jazzige Improvisationen ergänzt. Nur dem, der Händels Vorlage im Hinterkopf behält, fällt auf, dass der gesungene Text durch das Arrangement stellenweise in den Hintergrund gerät.

 

Vibrierende Lebendigkeit

Doch der musikalische Leiter Attilio Cremonesi sucht bewusst nach einer neuen Interpretation des jahrhundertealten Notentextes, und so hört sich das, was hier in der Französischen Kirche erklingt, vielmehr wie eine Art Uraufführung an als wie die Bearbeitung eines bekannten Werks. In jedem Moment wandelt sich die Musik, und diese kreative Lebendigkeit erzeugt einen vibrierenden Ausnahmezustand.

Zu den grossartigen Chor- und Orchesterensembles treten erstklassige Solisten. Der volle und bewegte Sopran von Carine Tinney kommt bereits zu Beginn im wunderbar sphärischen «Comfort ye» zu voller Entfaltung, der Tenor von Benedikt Kristjánsson spätestens im dramatisch sich zuspitzenden Rezitativ «Darkness shall cover the earth». Die Jazz- und Popsängerin Chiara Schönfeld sorgt für geschmeidige Gesangslinien und verbindet sich im zweiten Teil mit dem intensiven Saxofonklang von Gianluigi Trovesi zu einem traumwandlerischen Duett.

 

«Jazziah – Händels Messiah reloaded» steht in einer langen Tradition von Bearbeitungen und Neuinterpretationen. Ihr Ziel ist es, Händels Oratorium für ein grösseres Publikum zu beleben. Oder wie der britische Dirigent Sir Thomas Beechham einmal sagte: «Wir wissen, dass Händel wie Mozart in grossen Klangwirkungen schwelgte und einmal sogar den Wunsch äusserte, eine Kanone einzubeziehen. Ich fürchte auch, dass ohne Bemühung in diese Richtung der grössere Teil seines grossartigen Werks ungespielt bleiben wird, vielleicht zur Zufriedenheit einiger schläfriger Sesselpuristen, doch kaum zum Vorteil des aufgeweckten und interessierten Konzertbesuchers.»

 

Die Aufzeichnung des Konzerts ist am 3. Juni um 21 Uhr auf SRF 2 zu hören. (Der Bund)

Tino Calzaferri 22.05.2018

Der Bund, 22.05.2018 Tino Calzaferri